Gebäudeenergiegesetz

Klimaschutzbremser vs. idealistische Dilettanten?

Heizungshammer! Energie-Stasi! Wollen idealistische Dilettanten unsere Volkswirtschaft in den Abgrund stürzen? Oder nutzen radikale Klimaschutzbremser die Gelegenheit, um ihre Pfründe zu retten?

Der Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz hat Schwächen und muss - intensiv - verbessert werden, keine Frage. Dafür ist unser parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren ja da. Es muss sichergestellt werden, dass die Anforderungen praktisch umsetzbar sind und dass wirtschaftlich schwächere Bevölkerungsgruppen nicht überfordert werden.

Liebe Politiker, macht da Euren Job!

Aber: Um das sachlich absolut notwendige Gesetz zum Anlass zu nehmen, um wahltaktisch oder anders motivierten Schlammschlachten und Diffamierungskampagnen anzuzetteln, ist die Sache viel zu ernst.


Es handelt sich um Kampagnen, die tief in der Bevölkerung verwurzelte emotionale Muster adressieren: Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so.

M.A.R.S. 2035 e.V. möchten dazu beitragen, diese Muster umzukehren: Ich! Jetzt! So!


Hier zunächst unser Apell im "Bierdeckelformat":

Der Gebäudesektor verursacht in Deutschland etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa 30 Prozent der CO₂-Emissionen (UBA 2022). Die meisten Menschen wissen, dass es nicht so weitergehen kann. Die Emissionen müssen drastisch runter, und zwar schnell. Logische Konsequenz: eine sehr viel ehrgeizigere Klimapolitik als bisher. Die meisten Leute wollen das, zumindest laut Umfragen. Aber wenn es konkrete Maßnahmen geht, die sie selbst betreffen, sind sie plötzlich nicht mehr so begeistert. Da kommt das typische "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"-Verhalten zum Vorschein, aktuell ganz besonders bei Heizungen. Dennoch brauchen wir jetzt ehrgeizige Maßnahmen, selbstverständlich solide begründet, praktisch umsetzbar und gesetzlich verankert. Es geht also nicht darum, ob wir handeln, sondern wie wir es anpacken. Bei so einem gewaltigen Maßnahmenpaket geht es natürlich auch um Macht, Einfluss und um sehr viel Geld. Klar, daraus entstehen politische Differenzen, die von den Medien gerne aufgebauscht werden. Wundern wir uns also nicht über Schlammschlachten und Diffamierungskampagnen. Damit muss jetzt Schluss sein! Wir erwarten von Politik und Medien, dass die Empörungsspirale beendet wird und dass es vernünftige Kompromisse gibt. Wie stark diese tatsächlich dazu beitragen, den CO2-Ausstoß in dem notwendigen Ausmaß zu senken, wird sich später zeigen.

Als Verein wünschen wir uns, dass unsere Gesellschaft die Ärmel hochkrempelt und loslegt! Je beherzter wir die Sache angehen, desto besser wird´s!


Und nun zu einigen fachlichen Aspekten:


Warum muss es schneller gehen?

Rufen wir uns in Erinnerung, warum der Minister Druck macht, warum er unpopuläre Maßnahmen auf den Weg bringt. Warum tut er sich das an? Was sagt die Wissenschaft?

Die Erkenntnis, dass die Emission von Treibhausgasen eingedämmt werden muss, um die Erwärmung der Erde zu begrenzen, ist nicht neu.


Diese etwas altmodisch und kompliziert wirkende Abbildung stammt aus dem Jahr 1989. Sie zeigt Wege zur Stabilisierung der globalen Erwärmung auf einer Zeitskala. Die Grafik basiert auf dem Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und emittiertem Kohlenstoff. Das war auch den Experten bei Exxon bereits vor über 50 Jahren sehr genau bekannt.

Die mittlere Abbildung stammt aus der „Kopenhagener Diagnose“ von 2009. Sie bezieht sich auf das Ziel, die globale Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Bei gleich bleibendem Gesamtbudget für den ausgestossenen Kohlenstoff müssen die jährlichen Emissionen umso schneller sinken, je später mit deren Reduzierung begonnen wird.

Die dritte Abbildung ist die erweiterte und animierte Version einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 (Raupach et al.). Das Summenzeichen Σ gibt die kumulierten Emissionen (braun) bzw. Rückholmengen (grün) an. Würde dieser Pfad über das Jahr 2100 hinaus Wirklichkeit, könnte der globale Temperaturanstieg dauerhaft auf 1,5 °C begrenzt werden.


Hinweise

1) Die Darstellungen beziehen sich auf die globalen Emissionen, nicht auf Deutschland.

2) Für eine vergrößerte Darstellung können die Grafiken angeklickt werden.

3) Quelle: https://folk.universitetetioslo.no/roberan/t/global_mitigation_curves.shtml



Zum Zeitpunkt der mittleren Grafik, 2009, war die „Große Koalition“ bereits 4 Jahre an der Regierung. Als im Juli 2021 das Europäische Klimagesetz (Verordnung (EU) 2021/1119) in Kraft trat, war sie es immer noch. Es gab viele Gründe, warum in dieser Zeit zu wenig getan bzw. erreicht wurde. Das wurde schon oft genug kritisiert. Blicken wir also nach vorne: An den oben gezeigten Grafiken lässt sich ablesen, dass die Ampelkoalition im Ergebnis in einer Zeit regiert, in der die Treibhausgasemissionen erheblich schneller sinken und Maßnahmen radikaler sein müssen, als das noch vor 10 oder 20 Jahren der Fall war. Das ist keine politische Meinung sondern in erster Linie eine Konsequenz physikalischer Naturgesetze.

Es ist jedoch ebenfalls eine Konsequenz physikalischer Naturgesetze, dass es für das Weltklima keine Rolle spielt, wo die Treibhausgasemissionen stattfinden. Dazu ein kleines und vereinfachtes Rechenbeispiel:

Quelle: Climate Action Tracker (Klick auf das Bild)
Quelle: Climate Action Tracker (Klick auf das Bild)

Jeder Einwohner Deutschland "produziert" im Jahr durchschnittlich ca. 8 Tonnen CO2, jeder Inder in etwa 2. Indien hat sich vorgenommen, bis 2070 klimaneutral zu werden. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen aber zunächst um rund 1000 Megatonnen pro Jahr steigen (siehe Grafik). Pro Einwohner ergibt das bei gleich bleibender Bevölkerung bescheidene 0,7 Tonnen pro Jahr. Der Plan für Deutschland sieht für den selben Zeitraum eine Minderung um rund 300 Megatonnen vor (3,6 Tonnen pro Kopf). Unter dem Strich ergibt die Bilanz beider Länder ein Plus von ca. 700 Megatonnen jährlich. Lohnt es sich für das Weltklima wenn bei uns Millionen Wärmepumpen schneller installiert werden? Oder schadet politischer Opportunismus unserer wirtschaftlichen Entwicklung?

Doch, es lohnt sich! Dafür gibt es zahlreiche Argumente, die an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden sollen. Befassen wir uns lieber etwas detaillierter mit der sog. "aber China-Argumentation".



Die "Aber China"- Argumentation

Das Beispiel "Indien" ist eine Variante des "aber China - Arguments", das oft und gerne genutzt wird, um beim Klimaschutz zu bremsen oder Nichtstun zu rechtfertigen.

Warum Indien? Weil Indien vor kurzem China als bevölkerungsreichstes Land der Erde abgelöst hat und weil es vermutlich bereits vielen Menschen in Deutschland dämmert, dass China in nahezu allen Zukunftstechnologien auf der Überholspur fährt. Bei der Produktion von Solarmodulen ist das schon lange so. Jetzt greift die chinesiche Elektromobilität die Deutsche Autoindustrie an, deren "weltbeste Verbrennermotoren" vermutlich in einigen Jahren in Industriemuseen zu bewundern sein werden. Damit ist aber noch lange nicht Schluss. Weitere Beispiele sind Wärmepumpen und Wechselrichter oder der Aufbau der Chip- bzw. KI-Industrie.

Das gilt auch für Klimaschutz: Das Land investiert massiv in erneuerbare Energien und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2060 klimaneutral zu sein. Climate Action Tracker kritisiert zwar die Chinesichen Klimaschutzziele (NDCs) als "höchst unzureichend" , analysiert aber gleichzeitig, dass die tatsächliche Politik Chinas zu einem höheren Dekarbonisierungsgrad führt als die Vorgaben der NDC-Ziele des Landes.


Und Indien?

Indien hat erkannt, dass es seine stark von Kohlekraftwerken geprägte Energieerzeugung transformieren muss, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren und gleichzeitig den steigenden Energiebedarf des Landes zu decken. In diesem Zusammenhang nehmen die Investitionen in erneuerbare Energien erheblich zu (WEF 2022), aber auch die Carbon Capture and Storage (CCS) -Technologie ("grüner Bereich" in der "dritten Abbildung" weiter oben) erhält zunehmend Aufmerksamkeit. Wer dazu genaueres wissen möchte, kann sich in einem Fachaufsatz aus Carbon Capture Science & Technology Volume 2, March 2022, 100036 über den aktuellen Stand informieren.

Wir sollten Indien nicht dafür kritisieren, dass seine Klimaschutzziele nicht ambitioniert genug sind. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, unsere eigenen Ziele zu realisieren (vielleicht sogar zu übertreffen) und darüber hinaus Indien, wo immer es geht, auf seinem eigenen Weg unterstützen.



Was bedeutet das für M.A.R.S. 2035?

In Deutschland ist es nicht üblich, die Regierung zu loben. "Ampel-Bashing" oder "Oppositionsbashing" kommt beim Volk besser an. Lieber ein einzelnes "Haar in der Suppe" ausführlich kritisieren anstatt einen gelungenen Eintopf zu würdigen.

Im vorliegenden Fall kann man das durchaus anders sehen.

Der Entwurf des vielgescholtenen Gebäudeenergiegesetzes umfasst 150 (Referentenentwurf vom 03.04.2023) bzw. 170 (Kabinettfassung vom 18.04.2023) Seiten. Beide können von der Internetseite des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen heruntergeladen werden. Diese notwendigerweise (s.o.) sehr weit reichenden Entwürfe enthalten Schwächen. Dass die Entwürfe vielen Akteuren nicht passen, weil es eben kein "weiter so"- Gesetz und auch kein Wahlgeschenk nach dem Motto "Freibier für Alle" ist, kann nicht verwundern.

Das Gesetz ist ein Baustein des Mammutvorhabens " Energiewende". Es wird von mehreren Strategien flankiert:

Was für ein visionärer, ganzheitlicher, gleichzeitig aber auch vernetzter und pragmatischer Ansatz! So etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben. Idealistische Dilettanten waren hier bestimmt nicht am Werk. Die aktuellen Diffamierungskampagnen der Klimaschutzbremser und Besitzstandswahrer sind völlig unangemessen!

Als Verein sind wir überzeugt, dass die Bevölkerung in vielen Fällen weiter ist, als es die von "only bad news are good news" geprägte Berichterstattung suggeriert. Wir werden daher versuchen, möglichst viele positive Beispiele bekannt zu machen, die zeigen, dass die Energiewende machbar ist, auch im Bereich der Gebäudeenergie.